Fernab der Heimat
Deutsche Kriegsgefangenenpost des Zweiten Weltkriegs
Rund elf Millionen deutsche Soldaten kamen während des Zweiten Weltkriegs in Kriegsgefangenschaft, ein Großteil davon erst in den letzten Monaten zu Kriegsende. Die vier Siegermächte USA, Großbritannien, Frankreich und UdSSR hielten die Wehrmachtsangehörigen in Gewahrsam. Deren Lager befanden sich neben Europa, Nordamerika und Asien auch in Afrika und Australien. Die Bedingungen der Gefangenschaft unterschieden sich ebenso wie die Zeitpunkte der Heimkehr. Während viele schon nach Kriegsende oder bis 1948 freigelassen wurden, kehrten die Letzten erst 1956 in ihre Heimat zurück.
Die Kriegsgefangenenpost war dabei gleichzeitig Lebenszeichen als auch Rückzugsort und eine kurze Flucht aus dem Lageralltag. Weder durften, noch wollten die Gefangenen über bestimmte Themen schreiben. Entsprechend steht der Inhalt der Briefe im Kontrast zu den Lebenswirklichkeiten: Krieg, Gewalt und Verbrechen spielten kaum eine Rolle. Man könnte beim Lesen fast vergessen, dass es sich um ehemalige Soldaten handelt, vielmehr um sorgende Familienväter, vermisste Söhne und liebende Ehemänner.
Prisoner of War Index Card, 1944
Die Karte diente der Identifizierung der Kriegsgefangenen und als deren Ausweis
Kiregsgefangenenpostkarte aus russischer Gefangenschaft, 1948
Eine beispielhafte Postkarte aus der damaligen Sowjetunion (UdSSR bzw. in kyrillischer Schrift CCCP)
Das Medium Kriegsgefangenenpost
Vorschriften und Aufbau
Die Kriegsgefangenenpost bildet nur eine Art der Kriegspost – neben der Feld- und der Heimkehrerpost – ab. Gemeinsam war allen drei die Gebührenvergünstigung. Gemäß den Bestimmungen des 1929 beschlossenen Genfer Abkommens über die Behandlung von Kriegsgefangenen waren solche Sendungen grundsätzlich portofrei zu transportieren. Ein Unterschied wird aber schon bei der schieren Anzahl sichtbar: Auf rund 40 Milliarden verschickte Feldpostsendungen während des Zweiten Weltkriegs kamen Schätzungen zufolge gerade mal 400 Millionen Kriegsgefangenenpostsendungen.
Kontakt durfte nur mit Familienangehörigen aufgenommen werden. Diese hatten auch die Möglichkeit, Pakete an ihre Angehörigen in den Lagern zu senden.
Verderbliche Waren sollten vermieden werden, auch ein Inhaltsverzeichnis der Waren war Pflicht, andere Schreiben durften nicht beigelegt werden. Der Versand von Büchern war ebenso möglich – allerdings nur über einen Buchhändler und verlagsneue Stücke, politische und antiquarische Bücher wurden ausgeschlossen, ebenso solche mit Widmungen.
Wie bei der Feldpost stellten die Briefe der Verwandten aus der Heimat insgesamt die größte Zahl an Sendungen dar, da sie keiner Begrenzung unterlagen – erhalten blieben aber zumeist nur die Briefe der Soldaten an ihre Familien. Das ist häufig die Folge der widrigen Lebensbedingungen als Kriegsgefangener, der regelmäßigen Kontrollen, Verlegungen oder spätestens dem Weg in die Heimat.
Der Aufbau einer Postkarte
Einiges hat sich an Postkarten bis heute nicht geändert, doch was unterscheidet eine Postkarte von damals, zumal aus einem Kriegsgefangenenlager, von einer uns heute geläufigen?
Drei Arten der Kriegsgefangenenpost
Vordrucke stellten sowohl das Rote Kreuz als auch die Gewahrsamsländer bereit. Die Kriegsgefangenenpost lässt sich dadurch grob in drei Kategorien einteilen: Postkartenvordrucke die in etwa dem DIN A6 Format entsprechen und das häufigste Kommunikationsmedium darstellten, Faltbriefvordrucke zumeist mit Stecklasche, die circa zwei- bis dreimal so viel Platz boten, und frei verfasste Briefe in Umschlägen, die in Zahl und Größe variierten, aber auch die seltenste der drei Formen bildeten.
Auffällig ist, dass insbesondere aus der UdSSR vermehrt nur einfache Karten und keine Faltbriefe erhalten sind. Ausführliche Texte finden sich dort, im Gegensatz zur USA oder Großbritannien, kaum. Zensiert wurden jedoch alle, was insbesondere die Zensurstempel belegen.
Postkarten
Faltbriefe
Freie Briefe
Familie, Heimweh und das Lagerleben
Inhalte und Motive in den Briefen
Schaut man sich die Postkarten an, schrieben die meisten Gefangenen häufig nur knapp von passabler Verpflegung und gesundheitlichem Wohlergehen. Wirft man jedoch einen Blick in die Briefe, werden die Themen diverser. So fällt auf, dass die Gefangenen vor allem das Schicksal ihrer Familie, Freunde und Verwandten interessierte, Gewalt und Krieg kamen kaum zu Wort. Die Meisten berichteten von der Hoffnung – oder Ungewissheit – auf die baldige Entlassung, vor allem aber von der Sehnsucht nach Familie und Heimat. Sie wollten Teil der Familie bleiben und Anteil an deren Leben nehmen, gerade in der prekären Nachkriegszeit, zu der sich die Langeweile und der Frust der Gefangenschaft fernab der Heimat gesellte.
Der Lageralltag spielte in den Briefen meist nur eine untergeordnete Rolle. Vermutlich, weil er zu eintönig und beschwerlich war, als dass man darüber berichten wollte oder durfte. Wurde der Lageralltag doch geschildert, dann zumeist nur durch positive Erfahrungen und Freizeitbeschäftigungen. Dazu zählte Sport, vor allem Fußball, die Einstudierung und Aufführung von Theaterstücken oder die Teilnahme an Gesangsgruppen und Lagerorchestern.
Der Besuch von Filmvorführungen und lagereigenen Büchereien sowie der Zugang zu Tageszeitungen und Möglichkeiten der universitären Fortbildung zählten ebenso zum Zeitvertreib. Es zeigt sich, dass insbesondere die US-Amerikaner ihre Gefangenen gut behandelten, gerade in der Sowjetunion herrschten zumeist andere Zustände, Lagerarbeit bestimmte den Alltag.
Deutsche Kriegsgefangene arbeiteten in fast allen Bereichen der Wirtschaft im Gewahrsamsland, u.a. der Bauwirtschaft zur Enttrümmerung zerstörter Städte und deren Wiederaufbau, der Holzgewinnung, dem Bergbau und der Landwirtschaft – das nutze auch nahegelegenen Ortschaften: Sie waren nicht nur billige Arbeitskräfte die dringend gebraucht wurden, sondern kurbelten auch die örtliche Wirtschaft an. Für die Gefangenen gab es jedoch nur Lagergeld. Offiziere erhielten in den USA je nach Dienstgrad zwischen 20 und 40 Dollar, nicht arbeitende Mannschaften und Unteroffiziere erhielten zunächst ein Taschengeld von 3 Dollar, später von einem pro Monat. Arbeitende Kriegsgefangene konnten so nochmals zwischen 80 Cent und 1,20 Dollar pro Tag verdienen.
Motive in den Briefen
Nachricht von Zuhause
Erwerb von Gebrauchs- und Verbrauchsartikeln
Einkommen und Bezahlung
Arbeit im Lager
Ärztliche Versorgung und Zahnbehandlung
Urlaub und Freizeit im Lager
Leben nach der Gefangenschaft
Heimweh
Der Sieger liest mit
Die Postzensur
Die Zensur spielte bei der Kriegsgefangenenpost eine entscheidende Rolle. Sie wirkte sich nicht nur auf die Begrenzung der Zeilenanzahl oder die geforderte Leserlichkeit der Briefe aus. Auch eine „offene Sprache“, deren Bedeutung klar sei, keine Versiegelung sowie dunkle Tinte waren Voraussetzung. Kurzschrift, Ziffern, Codes, Geheimzeichen, Musiknoten oder der Verweis auf Buchstellen waren verboten. Gleiches galt für Auskünfte über feindliche Streitkräfte, die öffentlich-politische Lage oder Informationen, Ereignisse und Zustände im Lager, ebenso für Zeichnungen, Skizzen, Karten oder Bilder. Dazu kam auch die psychologische Wirkung der offenen Korrespondenz – ein Briefgeheimnis gab es nicht, theoretisch konnte jeder mitlesen.
Hielt sich der Gefangene nicht an die Vorschriften, wurden bei kleineren Vergehen entsprechende Stellen ausradiert oder geschwärzt. Andernfalls erhielt der Schreiber die Sendung zurück.
Aber nicht immer wurden die Formalia, sowohl von Seiten der Internierten als auch den Vertretern der Gewahrsamsmacht, stringent eingehalten. Die genauen Regularien unterschieden sich nochmals je nach Gewahrsamsland. Beschränkungen gab es auch bei der Anzahl der Briefe. Die Mehrheit der Alliierten erlaubte zeitweise monatlich zwei Briefe und vier Karten. Diese Vorschriften wurden allerdings aufgrund der administrativen und logistischen Herausforderungen immer wieder angepasst und heruntergesetzt.
Albrecht Robertson, 3.2014.2179.3
Zivilinternierter
Albrecht Robertson, 3.2014.2179.2
Zivilinternierter
Wilhelm Pons, 3.2012.5272.3
Kanada
Wilhelm Pons, 3.2012.5272.2
Kanada
“[…] seit vielen Monaten ohne Post von euch”
Der Postweg
Die Laufzeit einer Postsendung betrug durchschnittlich sechs bis zehn Wochen, manchmal auch länger, je nach zurückgelegter Distanz. Aus den Lagern wurde sie zumeist in eine zentrale Dienststelle im Gewahrsamsland verbracht, geprüft und gesammelt per Schiff oder Bahn verschickt.
Bevor sie dem Empfänger jedoch zugestellt wurde, erfolgte auch in Deutschland bis Kriegsende eine erneute Zensur. Die Gemächlichkeit der Postverbindungen ergab sich neben der schlechten Organisation, der unzureichenden Transportmittel auch aus der Überlastung der Zensurstellen. So lag die Zahl der Lager in den USA zu Kriegsbeginn bei 23 Hauptlagern und zehn provisorischen Standorten auf die insgesamt 182 Zensoren kamen, während es bis August 1945 155 Haupt- und 511 Nebenlager bei gerade mal 1.613 Prüfern waren.
Erst durch die Luftpost ergab sich eine deutlich schnellere Transportmöglichkeit, die allerdings freiwilliger Nutzung und zusätzlichen Frankierungskosten unterlag.
Da die Kriegsgegner während des Krieges keine Beziehungen unterhielten, erfolgte der Austausch der Post über neutrales Land – Schwerpunkte bildeten dafür u.a. die Türkei für Asien und Afrika, sowie Lissabon für Großbritannien und Nordamerika. Aber auch die Schweiz, vor allem Basel und Genf, waren wichtige Knotenpunkte. Ebenso versuchte das Internationale Komitee des Roten Kreuzes vermittelnd zu agieren. Während dem Fortschreiten des Krieges und der Invasion Frankreichs brach jedoch zunehmend die Verbindung nach Lissabon zusammen, weswegen für diese Zeit das schwedische Göteborg an dessen Stelle trat.
Kriegsgefangenenpost als historische Quelle
„Seit 5 Jahren habe ich nur das auszufuehren was man mir aufgibt, sei frueher beim Militaer gewesen oder jetzt noch vielmehr in Gefangenschaft. Das stumpft alles gewaltig ab.”
Ob nun ein plötzlicher Gesinnungswandel erfolgte, sei es aus tatsächlicher Überzeugung, durch die – teilweise angestrebte – Umschulung der Siegermächte oder durch den Opportunismus im Wissen, dass die Briefe mitgelesen wurden, lässt sich nur aus den Postsendungen der Kriegsgefangenen schwer beurteilen. Gewalt und Tötungsbereitschaft, das Leben und Zerbrechen im Krieg, die Verrohung oder auch der ideologische Glaube lassen sich in den Briefen höchstens erahnen, zumal sie bewusst für bestimmte Adressaten verfasst wurden. Dennoch sind sie als Quelle, aus der sich Erlebnis- und Blickweisen rekonstruieren lassen, wichtig. Mentalitäten, Alltagserfahrungen und individuelle Strategien zur Bewältigung des Erlebten werden in ihnen sichtbar. Die Dokumente werden deshalb weder verkürzt wiedergegeben, noch sind sie orthografisch oder in ihrer Grammatik an moderne Formen angepasst worden.
Dass die ungeschriebenen Dimensionen dennoch bedeutenden Raum einnahmen, zeigt sich beispielsweise in den Abhörprotokollen aus den Gefangenenlagern der Westalliierten. In den Erzählungen der Gefangenen spielten ungeschönte Gewalterfahrungen und -ausübungen sehr wohl eine wichtige Rolle, sei es durch schießen, zerstören oder töten, egal ob aus Pflichtbewusstsein oder reinem Vergnügen.
Gleiches gilt für die Lager: Oberste Maxime der Lagerführung war Ruhe und Ordnung, entsprechend wurde Militarismus, interne Hierarchien und die einhergehende Disziplin zeitweise toleriert oder gar befürwortet.
Dem deutschen Afrikakorps wird beispielsweise eine starke nationalsozialistische Gesinnung nachgesagt, da die Soldaten zu einem frühen Zeitpunkt in Gefangenschaft gerieten, als sich Deutschland auf dem Höhepunkt seiner geografischen Ausdehnung befand. Unter den Gefangenen wurde dort auf antimilitärisches Verhalten, Abneigungen gegenüber dem Nazi-Regime und Deserteure mit Repressalien gegen Heimkehrer und deren Familien, mit Misshandlungen bis hin zu Morden reagiert. Eine homogene Stimmung lässt sich für deutsche Soldaten in den Lagern jedoch nicht nachweisen, da zunehmend eine Separierung dieser angestrebt wurde. So gab es Lager für Befürworter der nationalsozialistischen Ideologie und für deren Gegner, für Offiziere und für einfache Soldaten.
Sammlung und Erinnerung
„Seine Briefe nach dem Kriege habe ich alle aufgehoben, sie sind mit der Maschine geschrieben, und machen einen dicken Band, zusammengefasst wohl mal hochinteressant fuer ne kommende Generation zu lesen.”
Feldpostbriefe, in deren Sammlungsbestand sich auch die Kriegsgefangenenpost findet, gehörten bereits zu den ersten Sammlungsstücken des 1872 von Generalpostdirektor Heinrich Stephan gegründeten Reichspostmuseums, des ersten Postmuseums der Welt. Der Schwerpunkt lag jedoch auf der postgeschichtlichen und philatelistischen Dokumentation der Beförderungsvermerke Aufschrift, Stempel und Briefmarke.
Erst mit der Wiedereröffnung des Berliner Postmuseums als Museum für Kommunikation im Jahr 2000 erlangte die Feld- und Kriegsgefangenenpost einen neuen Stellenwert, indem einerseits die Institution kultur- und kommunikationsgeschichtlich kontextualisiert und andererseits auf die Kommunikationsinhalte der Briefe eingegangen wurde.
Die Museumsstiftung besitzt heute die umfassendste Feldpost-Briefsammlung Deutschlands. Die Gesamtzahl der Feld- und Kriegsgefangenenpostsendungen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs beträgt ca. 130.000 und bildet das Gros des Bestands. Die Kriegsgefangenenpost stellt mit weniger als fünf Prozent jedoch nur einen Bruchteil davon dar.
Sie sind selbst im Besitz von Feldpostdokumenten bzw. Sie haben jemanden in Ihrem Verwandten- oder Bekanntenkreis, der Feldpost, ganz gleich aus welcher Epoche, besitzt und diese historischen Zeugnisse dem Museum übereignen möchte(n)? Dann wenden Sie sich sehr gern an uns. Auch wenn Sie an weitergehenden Recherchen interessiert sind, besteht die Möglichkeit, uns nach vorheriger Anmeldung in unserem Berliner Archiv zu besuchen und vor Ort die Sammlung zu sichten.