Leben nach der Gefangenschaft

Meine Lieben über einige Sachen mache ich mir jetzt meine Gedanken, was wird aus mir werden wenn ich in einigen Monaten heimkehre? Wie sind die Berufsmöglichkeiten und was habe ich noch an Bekleidung Daheim?

Transkription zu Konrad Muslewski, 3.2015.2888.6

Russland, den 25.7.1948
Meine Lieben!
Die herzlichsten Grüsse sendet Euch, verbunden mit den besten
Wünschen, Euer Koni. Zur Zeit haben wir ein herrliches Wetter und
gesundheitlich geht es mir sehr gut. Meine Lieben über einige Sachen
mache ich mir jetzt meine Gedanken, was wird aus mir werden wenn
ich in einigen Monaten heimkehre? Wie sind die Berufsmöglich-
keiten und was habe ich noch an Bekleidung Daheim? Über
diese Sachen, die mich wirklich interessieren, habt Ihr mir ja
noch nichts geschrieben. Bin ich Euch durch die langen Jahre der Trenn
nung so fremd geworden? Gern hätte ich hin und wieder
einmal etwas über meine alten Freunde Rudi und Emil
erfahren. Gedacht solange wie man sieht, vergessen wenn
fern von Daheim. Nun muss ich meine Zeilen zu Ende
führen. Es grüsst Euch nochmals herzlich Koni.

Was würdest Du darüber denken, wenn sich eine Möglichkeit böte, Dich nach England kommen zu lassen? Hättest Du Lust, Deutschland zu verlassen und auszuwandern? Meines Erachtens wäre es das Beste, wenn sich eine Chance böte, denn unter den gegenwärtigen Verhältnissen in D. sehe ich wirklich keine Möglichkeit einer besseren Zukunft mehr.

Transkription zu Wilhelm Klein, 3.2017.1295.2

[Seite 1]
Bristol, den 27./12./47.
Mein liebes Annyfranchen!
Nun sind die Weihnachtstage auch verklungen
und ich bin froh, daß alles vorüber ist, denn eine
wirkliche Feststimmung kann ja, solange man
nicht „freier“ Mensch ist, garnicht aufkommen.
Außerdem ist einem ja alles dadurch vergällt,
daß man dauernd an die Misere der eigenen
Familie denken muß. Wie hast Du, mein
Liebling, nun diese Tage verbracht? Hoffentlich
hattest Du das Glück, im Kreise Deiner Familie
einige netten Stunden zu verleben. Ich war
am Heiligen Abend und am 2. Weihnachtstage
in Weston eingeladen, wo man mir einige
angenehme Stunden bereitete. Gestern abend
hatten wir zum Abschluß Truthahn und
ein gutes Likörchen. Das sind natürlich
Genüsse, die sehr selten geboten werden können,
da diese Sachen auch hier nur zu kaum erschwing-
lichen Preisen zu haben sind. Ein Truthahn
zum Beispiel kostete 5-10 Pfund Sterling.
Wenn Du bedenkst, daß der Arbeiter mit Familie
hier nur 4-6 Pfund Wochenlohn hat, so kannst

[Seite 2]
Du ermessen, daß er diese Preise nicht zahlen
kann. Auch Tabak, Zigarren u. Zigaretten
sind durch die phantastischen Steuern sehr teuer.
Nun hoffe ich, daß uns das „Neue Jahr“ eine
Besserung unserer Lage bringen möge. Ich
glaube in Kürze eine Aufbesserung meiner
finanziellen Lage zu erfahren und dann
Dich und Mutter besser unterstützen zu
können. Sobald ich positives in der Hand
habe, werde ich Dir näheres mitteilen. Was
würdest Du darüber denken, wenn sich eine
Möglichkeit böte, Dich nach England kommen
zu lassen? Hättest Du Lust, Deutschland
zu verlassen und auszuwandern?
Meines Erachtens wäre es das Beste, wenn sich
eine Chance böte, denn unter den gegenwärtigen
Verhältnissen in D. sehe ich wirklich keine
Möglichkeit einer besseren Zukunft mehr.
Wenn auch hier die Verhältnisse nicht rosig
sind, so stehen sie doch in keinem Verhältnis
zu der mißlichen Lage in Deutschland, denn
zu verhungern braucht man jedenfalls hier nicht.
Nach allem, was ich bis jetzt über Deutschland

[Seite 3]
und die dortigen Rechtsverhältnisse hörte, fühle
ich mich nur noch sehr wenig zugehörig zu einem
solchen System. Wie du mir selbst schriebst, werde
ich dort wohl kaum eine Position finden, die
in etwa meiner früheren Berufstätigkeit entspricht.
Es wäre mir sehr lieb, wenn Du mir einmal
mitteilen würdest was Du darüber denkst,
wenn ich mich als Zivilangestellten verpflichten
würde bei normaler Bezahlung und voll-
kommener Freiheit als Zivilist. Man steht
in diesem Falle nicht mehr unter Militär-
gesetzgebung und wird regulär aus der Gefangen-
schaft entlassen. Dabei ist schon erörtert worden,
daß man seine Angehörigen wahrscheinlich
bald nach hier kommen lassen kann.
Selbst dann, wenn man England nur
als Sprungbrett nähme, um in 1-2 Jahren
entweder nach einer der engl. Kolonien
(Australien, Neufundland oder Südafrika) oder nach Amerika
auszuwandern, so wäre es eine gute Möglichkeit,
sich eine Zukunft zu schaffen. Wäre nicht
alles so hoffnungslos, so hätte ich diesen
Gedanken verworfen. Da man sich aber nicht

[Seite 4]
den realen Tatsachen abzufinden hat, sehe ich
die einzige Chance noch einmal ein
besseres Leben zu haben, darin, dorthin zu
gehen, wo man mir diese Chance bietet. Soviel
ich aus all Deinen Briefen entnehme ist es in
Deutschland auf nicht abzusehende Zeit
unmöglich dies zu erreichen. Bitte, liebe Anny,
schreibe mir einmal ausführlich, wie Du über
das Geschilderte denkst. In der Zwischenzeit
werde ich meine Verbindungen, die ich auf-
genommen habe, weiter ausbauen und den
Boden vorbereiten. Wie geht es Clemens und
seiner jungen Frau? Hast Du es arrangieren
können, ihm von mir ein kleines Hochzeits-
geschenk zu überreichen? Ich würde mich sehr
freuen, wenn es Dir geglückt wäre, denn Clemens
war immer in anerkennenswerter Weise um
unser Wohlergehen besorgt und es tut mir auf-
richtig leid, daß ich seine Hochzeit nicht miterleben
konnte. Und nun, mein Liebling, sei lieb und
herzlichst geküßt und nimm die besten Wünsche
zum Jahreswechsel. In der Hoffnung, bald wieder
liebe Post von Dir zu haben, bleibe ich ganz Dein
Willy
NB. Bitte grüße Deine Lieben u. Herren Pfarrer u. Familie.